Gastbeitrag: Der disruptive Prosumer auf der Blockchain

Hier geht es um low hanging fruits und nein dies ist kein Gastbeitrag über die Ausbreitung von Denglisch in der Energiewirtschaft. Leider kommt dieser Blogpost aber nicht ohne die Begriffe Disruption, Prosumer und Blockchain aus.
Seit dem ersten Blockchain-Tag für die neue Energiewelt ist das Thema Blockchain endgültig auch in den Chefetagen der Energiewirtschaft angekommen.

Auch die Verbraucherzentrale hat die Saure-Gurken-Zeit genutzt, um die erste deutschsprachige Studie dazu unter dem Titel “Blockchain – Chance für die Energieverbraucher?” zu veröffentlichen.

Die Executive Summary kommt zu dem Schluss: ”Die Blockchain-Technologie hat das Potential (…) langfristig den gesamten Energiemarkt gravierend zu verändern”. Um im neudeutschen zu bleiben: Blockchain ist disruptiv.

Die Medienberichterstattung zur Studie spiegelt diese Schlussfolgerung wider. Die FAZ fasste die Studie plakativ unter der Überschrift ”New York probt die Abschaffung der Energieversorger” zusammen. Die Süddeutsche berichtete unter dem Titel: ”Wie Blockchain-Technik das Energiesystem revolutionieren kann”. Und auch der österreichische Standard ließ sich ein Wortspiel nicht verkneifen und titelte rebellisch: ”Neue Technologie versetzt E-Wirtschaft Stromstoß”.

”Der Geist ist erstmal aus der Flasche. Digitalisierung kann für Verbraucher und für die dezentrale Energiewende auch eine Chance sein. “ sagt Udo Sieverding, Bereichsleiter Energie der Verbraucherzentrale NRW und Auftraggeber der Studie.

Der Verbraucherschützer wünscht sich, dass die erneuerbare Energiebranche jetzt aufwacht und sieht, dass Blockchain helfen kann, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. ”Damit kann die Technologie das Selbstbewusstsein der Branche stärken, nach dem Motto: Liebe alte Energiewelt, wir können das auch alleine.“ Dass Sieverding das Potential gerade in der erneuerbaren Energiewirtschaft zu vermuten scheint, hängt eng mit dem Begriff Disruption zusammen.

Disruption durch Blockchain – oder doch lieber die niedrig hängenden Früchte?
Als Beliebtes Schlagwort ist Disruption mittlerweile ein Kandidat für’s Bullshit Bingo, doch viele vergessen, was der Urheber des Begriffs, Clayton Christensen, eigentlich genau damit meinte. (Ihn hat der inflationäre Gebrauch des Begriffs wohl auch irritiert. Im vergangenen Dezember hat er mit zwei Kollegen einen berichtigenden Artikel im Harvard Business Review veröffentlicht, mit dem schlichten Titel “What is disruptive Innovation?“. Die Autoren schreiben:

„As incumbent companies introduce higher-quality products or services to satisfy the high end of the market (where profitability is highest), they overshot the needs of low-end customers and many mainstream customers. This leaves an opening for entrants to find footholds in the less-profitable segments that incumbents are neglecting. Entrants on a disruptive trajectory improve the performance of their offerings and move upmarket (where profitability is highest for them, too) and challenge the dominance of the incumbents.“
 
So gesehen kommt Disruption also definitorisch „von unten“. Eine Übung, die Start-up-Unternehmen leichter fällt als etablierten Spielern. So argumentiert auch William Mougayar, Autor des Buches "The Business Blockchain”, in einem aktuellen Blogpost. Etablierte Marktteilnehmer können die Disruption nur nachahmen, indem ein neuer Geschäftszweig von dem bestehenden Geschäft isoliert wird. Nicht umsonst sind Inkubatoren, Acceleratoren und Ausgründungen bei Energieversorgern beliebt.

Mit anderen Worten ist disruptive Innovation das Gegenteil der sprichwörtlichen niedrig hängenden Früchte, die eher die inkrementelle Innovation charakterisieren. Nun ist grundsätzlich nichts gegen inkrementelle Innovation, auch Prozessinnovation oder Business Process Re-Engineering genannt, einzuwenden. Aber sie hat einen entscheidenden Nachteil: Sie schützt nicht vor den Erschütterungen, die disruptive Innovationen einer Branche zufügen.

In diesem Sinne wünsche ich mir von Seiten der erneuerbaren Energienbranche, sich zu trauen: Erkennen Sie das disruptive Potential von Blockchain-Technologie und testen Sie mögliche Geschäftsmodelle, die den Geist der dezentralen Energiewende erneut beflügeln können. An die etablierte Energiewirtschaft lautet der Aufruf dementsprechend, sich nicht von den Low-Hanging Fruits verblenden zu lassen.

Welche Fragen sind noch offen?
Die PWC-Studie hinterlässt aber auch offene Fragen; zu einigen zentralen Themen schweigt sie.

-    Governance: In der Studie werden eher offene Fragen der energiewirtschaftlichen Regulierung und Rahmenbedingungen aufgezählt als Lösungsmaßnahmen vorgeschlagen. Der Governance-Begriff und die Transaktionskostenökonomik können uns auf dem Weg zu Antworten begleiten. Klingt langweilig, muss es aber nicht sein.

-    Geschäftsmodelle: Bringt die Blockchain am Ende die herbeigesehnte Demokratisierung der Sharing Economy? Und wenn ja: Kann man sie überhaupt auf einen Business Model Canvas bringen? Für die Energiewirtschaft sind hier die Stichworte Mieterstrom, Bürgerenergie und andere genossenschaftliche Modelle entscheidend.

In meinen kommenden, monatlichen Gastbeiträgen werde ich mich diesen Themen widmen. Erste Ansätze können Sie auch im Webinar nachhören, welches ich im Nachgang zum BlockchainTag in Kooperation mit dem BlockchainHub Berlin durchgeführt habe.

Haben Sie Kommentare, Fragen oder Anregungen? Folgen Sie mir und Solarpraxis Neue Energiewelt auf Twitter unter @energydemocracy und @solarpraxis und diskutieren Sie mit!

 

Wir danken Kirsten Hasberg, Volkswirtin, Energieexpertin des BlockchainHub Berlin und Dozentin an der IT-Universität Kopenhagen, für diesen Gastbeitrag.

 

Anm. der Redaktion:

Die Autorin  Kirsten Hasberg ist auch Referentin auf dem 17. Forum Neue Energiewelt am 10. / 11. November 2016 in Berlin und spricht dort im Workshop: Wie tickt der Prosumer? , der sich besonders an Stadtwerke und EVU wendet. Im Workshop werfen wir einen Blick auf denVerbraucher als unbekanntes Wesen, der einserseits Strom ins Netz einspeist, andererseits aus dem Netz zieht. Kirsten stellt vor, was passiert, wenn der Prosumer sich plötzlich via Blockchain abmeldet. Informationen zur Konferenz und weiteren Veranstaltungen zur Neuen Energiewelt finden Sie unter neue-energiewelt.de

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