Gastbeitrag: Werden Stadtwerke und Kommunen von Veränderungen in der neuen Energiewelt überrannt?

Die Energiewende steht an einem Wendepunkt. Nach meiner Überzeugung wird sich in den nächsten 3 -5 Jahren entscheiden, wie das Energiesystem der Zukunft strukturiert ist. Wird die regionale Struktur des künftigen Energiesystems noch Bestand haben? Die Energiewende findet heute – noch – in den Kommunen und Regionen statt. Allerdings habe ich die große Befürchtung, dass viele Stadtwerke und Kommunen von den Veränderungen überrannt werden.

Bisher war die Energiewende getragen von vielen privaten Investoren, die auf der Basis des Gesetzes zum Vorrang von Erneuerbaren Energien, im Volksmund „EEG“ genannt, in eine eigene Energieerzeugungsanlage investiert haben. Das weltweit vielfach kopierte Erfolgsmodell EEG führte zu 1,5 Millionen dezentralen Generatoren in Deutschland. Diese liegen zu 95 % in privater Hand. Gleichzeitig sind diese Anlagen zu 97 % auf der Verteilnetzebene angeschlossen und speisen ihren Strom in regionale Netzstrukturen ein. Diesem massiven Gegengewicht zur konventionellen Energiewirtschaft ist es geschuldet, dass sich die großen Konzerne in ihren Strategien inzwischen bewegen.


Die Entwicklungen der nächsten Jahre werden entscheiden, ob die regionale Struktur des künftigen Energiesystems noch Bestand hat. Die Energiewende findet heute – noch – in den Kommunen und Regionen statt. Ich habe aus meiner Praxis in den letzten Jahren einige spannende Konzepte dazu entdeckt. Allerdings habe ich die große Befürchtung, dass viele Stadtwerke und Kommunen von den Veränderungen überrannt werden. Sie sind vielfach zu träge oder schlicht überfordert. Wenn sie den Prozess der Veränderung nicht jetzt aktiv aufgreifen, sondern den Wandel verschlafen, wird sich der Energiesektor noch viel nachhaltiger verändern, als uns das heute bewusst ist. Kommunale Stadtwerke wird es dann nicht mehr geben.


Die jüngste Ausschreibung für Offshore Wind hat Dong mit 7,2 Eurocent für sich entschieden. Damit rücken große und zentrale Erzeugungsstrukturen wieder in den Fokus der Großinvestoren. Mit gewaltigen Summen drängen die Googles und Apples dieser Welt in den Energiesektor. Sie orientieren sich eisern am Kundennutzen und kennen den „Point of Sale“ von Milliarden Anwendern. Sie sind bereits vor Ort in den Smartphones und können Massengeschäft kostengünstig automatisiert abrechnen. Es geht um einen Multimilliarden-Markt, der bisher von den Ölmultis und Rohstoffriesen dominiert war.


Die Chance der Energiewende ist aber gerade die Wertschöpfung vor Ort, die in den Regionen für neue Kraft sorgen kann. Dafür müssen sich die Stadtwerke jedoch ihrer Rolle bewusstwerden. Die Digitalisierung der Energiewirtschaft ist eine klare Chance für die Kommunen, sich dem Kundennutzen zu widmen und die Regionale Wertschöpfung in Gang zu bringen. Dass es geht, haben einige schon gezeigt. Was machbar ist, können Sie im Webinar Stadtwerk mit Zukunft - Digitalisierung & Energiewende in der kommunalen Versorgung am 20.09.2016 von 11 bis 12.30 Uhr hier in der Neuen Energiewelt erfahren.

 

Wir danken Lars Waldmann, CEO Renewable Energy Communication, für diesen Gastbeitrag.

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Kommentare: 6
  • #1

    Dirk Volkmann (Freitag, 22 Juli 2016 09:56)

    These 1:
    Das Geschäftsmodell der großen Energieerzeuger ist tot

    Ab 2030 werden Aktiva in Form von großen Kohle- und Gaskraftwerken wertlos, bereits heute werden Kapazitäten im GW-Bereich stillgelegt, ¼ der Stadtwerke sind pleite
    Rückbau / Entsorgung von Atomkraftwerken wird Sache des Steuerzahlers
    Sinkende Nachfrage nach fossilen Energien führt zur Destabilisierung von Erzeugerländern (Russland, Nahost)
    Fossile Kraftwerke werden dezentral und kleiner (max. 100 MW), ein großer Teil der Energieversorgung wandert vom Investitions- in den Konsumgüterbereich

    These 2:
    Batteriespeicher übernehmen die Rolle von Kraftwerken zur Netzstabilisierung

    Moderne Speichertechnologien führen zu einem fundamentalen Umbau des Energiesystems, Lastmanagement und Speicher tragen zur Synchronisation bei
    Die Energieerzeugung und –verteilung wird von supraregionalen Mikronetzen (verbundene Zellen oder Inseln) übernommen, nationale Netze und Monopole werden abgelöst (Bsp. NETfficient, Borkum)
    Dezentralisierten Strukturen sind weniger krisenanfällig und gegenüber Terrorakten unempfindlicher, Versorgungssicherheit ist aber kein Standard mehr (‚extra pay‘)

    These 3:
    Energieeffizienz führt zu einer größeren Wettbewerbsfähigkeit der Industrieländer

    Energieeffizienz führt zu sinkenden Energieverbräuchen, Entkoppelung von Wachstum und Verbrauch, die Importabhängigkeit von Öl und Gas nimmt ab
    Der Preis pro kWh wird sekundär, da die dann marktbeherrschenden Erneuerbaren Energien zu sinkenden Grenzkosten führen
    Fracking wird verschwinden und hat nur noch geringen Einfluss auf die Entwicklung des weltweiten Energiesystems
    Die nachhaltige Energieerzeugung wird nicht mehr primär vom Klimawandel, sondern von Investoreninteressen und Profitabilität getrieben
    Gemeinsame Anstrengungen der CO2-Emittenten lassen trotz zunehmender Naturkatastrophen aber weiter auf sich warten

    These 4:
    Dünnschicht und org. Photovoltaik werden ‚GAMECHANGER‘

    Dezentralisierte Energieerzeugung mit Fenstern und Fassaden, weltweite Kapazitäten vervielfachen sich auf > 2.000 GW
    Der Betrieb von Wasser- und Wärmekraftwerken wird durch zunehmenden Wassermangel eingeschränkt
    Wind und PV ergänzen sich, haben hohe Kapital- aber fast keinen Betriebskosten, sind die günstigsten Erneuerbaren Energien; andere Technologien sind deutlich teurer und haben nur begrenzte Ausbaupotenziale (Biomasse, Biogas, Geothermie)

    These 5:
    Big Data verändert die Strukturen des Energiemarktes

    IOT wird die Koordination von Herstellung und Konsum sicherstellen: Elektrogeräte berichten unabhängig und online den Energiebedarf und reagieren auf Liefer- und Preisschwankungen
    Nur noch wenige technische Aufgaben, wie der Betrieb der Netze, verbleiben bei den traditionellen Energieerzeugern. Die Stromerzeugung wird durch viele kleine Erzeuger dezentral und das Netzmanagement wird das Spielfeld der internationalen IT-Firmen (Apple, Alphabet, Microsoft, Adobe, Intel). Diese investieren bereits in große EE-Anlagen, um den eigenen Verbrauch zu sichern.
    Die großen Internet- und IT-Firmen werden durch ihre Fähigkeit große Datenvolumina zu verarbeiten und dadurch Nachfrage und Angebot zu koordinieren die großen Spieler im Energiemarkt. Supercomputer entwickeln neue Technologien.

  • #2

    JCW (Freitag, 22 Juli 2016 10:41)

    Ich halte es für falsch, einen Gegensatz zentral-dezentral zu konstruieren. Durch die geringe Energiedichte der Erneuerbaren wird die Erzeugung zwangsläufig dezentral sein, der Verbrauch war es schon immer. Es gibt aber Differenzen von Erzeugungsort und -zeit zu Verbrauchsort und -zeit. Eine mögliche Variante des Energiesystems der Zukunft ist ein weiträumiger Ausgleich dieser Differenzen über leistungsfähige Netze. In Kombination mit Speichern an den richtigen Stellen wird das wahrscheinlich die kostengünstigste Alternative sein. Ich verweise nur auf eine kürzlich veröffentlichte Studie des Fraunhoferinstituts, in der der Stromaustausch zwischen Deutschland und Griechenland bzw. Italien untersucht wurde und als sinnvoll eingeschätzt wird: Windstrom zu bestimmten Zeiten in den Süden, dafür Solarstrom zu anderen (Jahreszeiten) in den Norden. Hier ist also ein international gedachtes Netz sinnvoll. Gleichzeitig wird es so bleiben, dass die Erzeuger regional installiert und akzeptiert werden müssen - hier sind also die Kommunen gefragt. Die Schweiz hat dazu das Institut der "Energiestädte" entwickelt, um diesem Aspekt der Energiewende den angemessenen Stellenwert zu geben. Aber eine Regionalisierung ohne Netzausgleich wird alles teurer als nötig machen, und scheint mir im wesentlichen Ideologie-getrieben zu sein. Und Ideologie und Technik haben sich noch nie gut vertragen.

  • #3

    Heinz Scherer, Dipl.-Ing.(FH) (Freitag, 22 Juli 2016 10:46)

    These X:
    Irgendwann spricht sich rum, dass man aus beliebiger nasser Biomasse für umgerechnet 2-3 Cent je KWh Wasserstoff mittels thermochemischer Vergasung herstellen kann (siehe Karl-Heinz Tetzlaff ) und zum Verteilen nur das kostengünstige (0,5 Cent je KWh) Erdgasnetz benötigt (kein teures kompliziertes Stromnetz). Die Zukunft gehört der wärmegeführten Wasserstoffwirtschaft mit Stromüberschuss, in welcher Photovoltaik mittels Elektrolyse (derzeit >80% Wirkungsgrad realisiert) auch seinen Anteil beitragen wird.

    Stromüberschuss deshalb, weil insgesamt mehr Wärme als Strom verbraucht wird und z.B. kostengünstige PEM-Brennstoffzellen aber nur ca. 50% elektr. Wirkungsgrad haben. Gesamtenergetisch wird der Primärenergiebedarf dadurch massiv sinken, den es wird kaum noch Energie verschwendet. Wir schauen viel zu viel nur auf die Stromproduktion, anstatt in einem Gesamtsystem, zu denken.

    Warum komplizierte Systeme, wenn es auch viel einfacher ginge.
    Allerdings ist mit komplizierten Systemen leichter Geld verdient (gilt nur für Konzerne).

    These Y:
    Das Ganze wird viel später kommen als möglich, da zu viele Interessen von großen Investoren und Konzernen, tangiert sind. Aber es wird kommen. Die Zukunft gehört einer echten Wasserstoffwirtschaft, in welcher auf allen Ebenen mit Wasserstoff gehandelt wird und nicht mit Strom. Strom wird dann nur noch Vor-Ort, also dezentral produziert und Überschuss auch wieder in Wärme gewandelt.

  • #4

    Helmut Alt (Freitag, 22 Juli 2016 11:02)

    Die Folge der Überangebote an fluktuierender Wind- und Sonnenstrom von derzeit 46.783 MW Windleistung, 40.190 MW Solarleistung, insgesamt 86.972 MW, als bereits deutlich mehr als der maximale Leistungsbedarf am Spitzenlasttag, ist die triviale Wahrheit, dass Strom, der nicht gebraucht wird, keinen Wert hat, ja sogar von Übel ist, da er abgenommen werden muss, um ein hochgehen der Netzfrequenz zu vermeiden. Die 50 Hz Netzfrequenz ist das Regulativ aller drehenden elektrischen Maschinen hinsichtlich deren Drehzahl und dem minimalen Schwingungsverhalten großer Turbinensätze. Es ist daher für den europäischen Verbundbetrieb, der mit einen Leistungskoeffizienten von rd. 27.000 MW/Hz die Stabilität des Verbundbetriebes garantiert, sehr wichtig das Gleichgewicht von Erzeugungsleistung und Verbraucherlast stets aufeinander abzustimmen.
    Fazit:
    Die Zielsetzungen der Energiewende sind auf vernünftige, d.h. energiewirtschaftlich für die Stromverbraucher vertretbare Zielwerte zurück zu nehmen. Dies bedeutet, keinen weiteren Ausbau der Wind- und Solaranlagen anzustreben und für die vorhandenen Anlagen ein Marktmodell für die Stromabgabe und Stromvergütung einzuführen, in den sowohl die Leistungsvorhaltung als auch die elektrische Arbeit kostennah und dem Verursacherprinzip entsprechend, abgebildet wird. Auf dem VII. Petersberger Klimadialog am 5. Juli 2016 sagte unsere Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel sehr zutreffend und wegweisend: „Ziele sind fein, aber sie müssen auch mit einer vernünftigen Finanzierung unterlegt werden“.
    Jeder weitere Ausbau nur witterungsabhängig fluktuierend verfügbarer Stromerzeugungsanlagen bringt keinen Mehrwert des Systems, sondern mindert dessen Wert zu Lasten aller Stromverbraucher.

  • #5

    fromm@der-medienberater.de (Freitag, 22 Juli 2016 11:08)

    Die pessimistische Meinung Ihres Gastautors teile ich nicht, wenngleich natürlich die großen Player einen Wettbewerbsvorteil haben und die (politische) Rechtsunsicherheit permanent potentielle Investoren, darunter auch viele Stadtwerke, verunsichert.
    Als freier Journalist habe ich einen Schwerpunkt auf Energieeffizienz, Regenerativen etc. und recherchiere bundesweit Beispiele, wo sich Unternehmen zu 60 bis 100 Prozent schon energieautark gemacht haben. Das setzt sich oft in konzentrischen Kreisen fort.
    Auch Bürgerenergiegenossenschaften und andere Player organisieren den lokalen Wandel. Und in Ba-Wü haben wir jetzt sogenannte KEFF-Beauftragte in den zwölf IHK-Bezirken, die den Energiewandel kommunizieren und anschieben sollen. Dort bin ich bspw. schon für vier Vorträge vor Unternehmern in Ostwürttemberg angefragt.
    Und viele andere, z.B. Ingenieurbüros, sind auch aktiv. M.E. wird die Energiewende nur regional funktionieren, wo Angebot und Nachfrage zusammenkommen. Beste Grüße, Leonhard Fromm

  • #6

    Lars Waldmann (Freitag, 22 Juli 2016 16:41)

    Vielen Dank für die zahlreichen Reaktionen und Beiträge bisher.
    Effizienz ist eine wichtige Säule der neuen Geschäftsmodelle von Stadtwerken und Versorgern. Speicher werden eine zunehmende Rolle im Energiesystem spielen, sie kommen zunehmend über die Mobilität und den Wunsch nach Unabhängigkeit der Konsumenten in das System. Unterstreichen möchte ich die These 5 von Dirk Volkmann, dass Big Data den Energiemarkt verändert, das ist schon heute spürbar.
    Wir schaffen ein Energiesystem, dass aus vielen Einzelanlagen mit fluktuierender Erzeugung besteht, die miteinander verknüpft sind. Im Sinne der Versorgungssicherheit benötigen wir den räumlichen Ausgleich über die Übertragungsnetze ebenso, wie den zeitlichen Ausgleich über Speicher. Daher bin ich JCW dankbar für den völlig richtigen Einwand, dass es zentrale und dezentrale Elemente ineinandergreifen müssen.

    Die Energiewende ist mit der Stromwende nicht getan, wir haben erst 13 % Erneuerbare Energien im Gesamtenergiemix. Da ist für die Wärme noch ein großes Feld zu bestellen. Zukunftsfähige Konzepte binden Wärme, Strom und Mobilität auf Verbraucher- wie Erzeugerseite gleichermaßen mit ein, da kann ich Heinz Scherer nur zustimmen. Wasserstoff ist ein chemisches Schlüsselprodukt für die Sektorkopplung. Wir werden die Vielfalt der Innovationen benötigen. Die meisten Technologien, die im Jahre 2035 zum Einsatz kommen, kennen wir heute noch nicht.

    Deutschland hat derzeit eine Spitzenlast von rund 83 Gigawatt. Für eine sichere und CO2 freie Energieversorgung benötigen wir weit mehr Erzeugungskapazität an Wind- und Solaranlagen um zusammen mit Biomasse, Wasser und Geothermie die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Flexibilität wird daher die künftige Währung im Energiemarkt sein. Darin stimme ich Helmut Alt gerne zu. Klar widersprechen muss ich jedoch der These, dass der Ausbau an Erneuerbaren gedrosselt werden müsse. Zum einen haben wir eine Klimaverpflichtung einzulösen und zum anderen haben wir in verschiedenen Studien nachgewiesen, dass eine CO2 freie Energieversorgung zu den heutigen Systemkosten möglich ist (siehe Consentec und Agora Energiewende). Zunächst müssen die unflexiblen und trägen Altkraftwerke in den Netzen Platz machen und dann muss ein liquider Flexibilitätsmarkt geschaffen werden. So können wir die Redispach Kosten auch wieder unter die 500 Millionen Grenze drücken.

    Dankbar bin ich Leonhard Fromm für die richtigen Positivbeispiele. Und weil ich persönlich überzeugt bin, dass die Kommunen und Stadtwerke eine echte Chance haben, jetzt aktiv zu werden, berate ich in diese Richtung. Kommunikation und Wissenstransfer ist da oft der Schlüssel zum Erfolg. Bitte Mehr davon.

    Ich freue mich auf Sie im Webinar am kommenden Mittwochvormittag. Beste Grüße, Lars Waldmann